Neuer Gefangenenaufstand in São Paulo

■ Untersuchungsbericht über Polizei-Massaker vom 2.Oktober an 111 Häftlingen

Rio de Janeiro (taz) – Einen Monat nach dem Massaker im größten Gefängnis der brasilianischen Metropole São Paulo ist es gestern erneut zu einem Aufstand in der „Casa da Detencao“ gekommen. Die Auseinandersetzungen, hervorgerufen durch einen Streit zwischen rivalisierenden Häftlingsgruppen, verursachten 18 Verletzte. Im Gegensatz zur Meuterei vor einem Monat, die mit dem Massaker an 111 Häftlingen endete, kam diesmal die Militärpolizei nicht zum Einsatz: Die Gefangenen brachten die Situation alleine unter Kontrolle.

Die brasilianische Militärpolizei hatte bei der Häftlingsmeute (die taz berichtete) am 2.Oktober dieses Jahres willkürlich 111 unbewaffnete Gefangene niedergeschossen. Dies geht aus dem ebenfalls gestern veröffentlichten Gutachten des Kriminalinstituts von São Paulo (IC) hervor. Das offizielle Gutachten macht der Verharmlosungsstrategie der Landesregierung von São Paulo ein für allemal ein Ende.

Der Sachverständige Osvaldo Negrini Netto vermeidet zwar das Wort „Massaker“. Doch die zusammen mit dem Gutachten veröffentlichten Fotos lassen keinen Zweifel an dem brutalen Blutbad aufkommen: ein am Freitag, den 2.Oktober 1992 um 22 Uhr aufgenommenes Bild zeigt neunzig aufeinandergestapelte Leichen im zweiten Stock des Gefängnisgebäudes.

Um die Blutspuren des Massakers zu verwischen, ließen die Polizisten die toten Häftlinge in Windeseile abtransportieren. Nach Angaben des Sachverständigen Negrini Netto verlief der Schußwechsel einseitig von den Gängen in Richtung der Häftlingszellen. Von den Zellen selbst ging keine einzige Kugel aus. Entsprechend erlitt auch kein Polizist eine Schußverletzung.

Die Landesregierung von São Paulo, der die Militärpolizei untersteht, leugnete zunächst wider besseres Wissen das Massaker in der „Casa da Detencao“. Offiziellen Angaben zufolge hatte der Häftlingsaufstand am 2.Oktober „lediglich“ acht Todesopfer gefordert. Erst am darauffolgenden Abend des 3.Oktober, nachdem die Gemeindewahlen bereits gelaufen waren, wurde die korrekte Zahl der Toten bekanntgegeben. Astrid Prange